Wu Wei ist ein Lebensprinzip des Taoismus und meint ein Handeln durch Nicht-Handeln. Aber Achtung: Dieses „Nicht-Tun“ meint nicht nichts zu tun, sondern vielmehr dem natürlichen Lauf der Dinge zu folgen. Wu Wei ist also im Grunde genommen das, was unserem immerwährenden Handlungszwang zu widerstreben scheint. Ja genau, Wu Wei ist das Gegenteil von blindem Aktionismus. Kein Widerstand, kein Kampf, keine Kontrolle, keine eigennützigen Ziele – stattdessen geschehen lassen. Kreative Passivität. Handeln durch Hingabe. Anders formuliert: Geh mit dem Fluss!
In diesem Zustand lösen wir uns vom ewig plappernden Ego-Ich, das die Dinge kontrollieren und steuern will.
Wir können das bei vielen Künstlern beobachten, denen es in ihren Flow-Phasen gelingt, ihr Ego für den Moment außer Kraft zu setzen: in der entspannten Konzentration kann der kreative Strom fließen. Der Musiker tritt hinter seine Musik zurück, die Autorin hinter ihren Text, der Maler hinter sein Gemälde. Sie alle fließen, lassen sich kreieren und entfalten.
Das ist eine der Essenzen aus dem Wu-Wei: Nichteingreifen. Zulassen. Wir nehmen bewusst eine Haltung ein, in der das Vertrauen in uns selbst und in die vitalen Kräfte des Lebens sich entfalten und die Führung übernehmen dürfen…und das Richtige geschehen wird. Wir lassen geschehen, was sowieso geschieht und nehmen die Rolle des neutralen Beobachters ein.
„Akzeptiere. Dadurch resignierst du nicht, aber nichts raubt so viel Energie wie der Widerstand und der Kampf gegen eine Situation, die du nicht ändern kannst“, legt der Dalai Lama nahe. Der große spirituelle Lehrer Wayne Dyer legt uns ans Herz: „Lass auch du dich auf diese Vorstellung ein, dass eine Pflanze durch Wu Wei wächst ohne gezwungen zu werden zu wachsen – sie tut es einfach.“
Es geht darum, die Dinge auf eine natürliche Art und Weise anzugehen, ohne sie erzwingen zu wollen. Salopp ausgedrückt: Ändere etwas, wenn es möglich ist und wenn nicht, dann fließe mit dem Strom des Lebens. Geh mit, kämpfe nicht dagegen an.
Darauf vertrauen, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden, dass das Richtige geschieht. Dass das Leben oder Universum, Gott oder eine höhere geistige Instanz, unser Instinkt oder Bauchgefühl uns mit dem konfrontiert, was gerade auf einer anderen, uns vielleicht noch nicht zugänglichen Frequenz einen Sinn ergibt oder unserer Entwicklung förderlich ist. Wu Wei bedeutet einen inneren fundamentalen Kurswechsel.
Wie gelangen wir nun ins Wu Wei, in diesen Raum innerer Freiheit und Unabhängigkeit?
Keine Frage, Wu Wei ist ein seelisches Muskeltraining, was regelmäßiger Übung bedarf. Neben dem Eintauchen in die Stille, in die Meditation, können wir die ersten Schritte immer wieder im Alltag erproben.
Bezogen auf unser Leben meint Wu Wei zum Beispiel, nicht um die Gunst eines Menschen zu buhlen, der sich von uns abwendet, sondern ihn ziehen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass es gut so ist, wie es ist. Es meint zu akzeptieren, wenn wir unser berufliches Ziel an einem bestimmten Ort nicht erreichen, im Vertrauen darauf, dass woanders eine größere Perspektive auf uns wartet. Es meint aber auch die Staude im Garten nicht zu pflanzen, weil gerade ein bissl Zeit übrig ist, sondern dann, wenn die Witterung dafür günstig und die Pflanze im richtigen Stadium ist. Es kann bedeuten, eine Verbindung einzugehen, weil sie uns und den anderen aufblühen lässt und nicht, weil gerade die Einsamkeitswolke über uns schwebt. Es kann bedeuten, etwas nur dann zu kaufen, weil es unser Leben bereichert und nicht, um der emotionalen Schwerkraft des Alltags zu trotzen. Es kann bedeuten nur dann zu essen, wenn wir hungrig sind und nicht, weil der Geruch von frisch gebrutzelten Pommes Frites stark enthemmend wirkt.
Geh mit dem Strom. Mach das Gegebene zu deinem Freund, nicht zu deinem Feind.
Was ist heute Dein Wu Wei Erlebnis?