Serielle Monogamie nennt sich unser heute praktiziertes gesellschaftliches Liebesspiel, das aus evolutionspsychologischer Sicht ein archaisches Verhaltensmuster von uns Menschen darstellt. Frei übersetzt bedeutet dieser abstrakte Terminus, einem Partner nach dem anderen für die Dauer des Liebesglücks die Treue zu halten, quasi „Treue light“ auf Zeit. Die Rede ist von „Ketten-Beziehung“ mit dem jeweiligen „Lebensabschnittsgefährten“.
Hat uns die Natur da etwa ein Schnippchen geschlagen, wo wir Menschen doch eigentlich von der ewigen, erfüllenden, grenzenlosen und romantischen Liebe träumen? Im Gegenteil, lautet die Antwort der Evolutionsfreunde. Die zeitliche Begrenztheit unserer monogamen Gefühle – so deren Argumentation – macht durchaus Sinn: Eine Strategie der Evolution, um ein Pärchen so lange zusammenzuschweißen, bis ein gemeinsamer Nachkomme gezeugt und aus dem Gröbsten raus ist. Ab da kann der Genpool neu gemischt werden.
Dafür, dass die Idee des wiederholenden Neuanfangs für uns Menschen charakteristisch ist, sprechen nicht nur unsere persönlichen Liebes-Lust-und-Frust-Erlebnisse, sondern vor allem die Scheidungshäufigkeit. Offiziell trennen sich in Deutschland rund 200.000 Ehepaare jährlich. Man muss nicht Nostradamus sein, um heutzutage ein Ablaufdatum zu prophezeien. Über 40% derer, die sich amtlich das Ja-Wort gegeben haben, ziehen es in den ersten zehn Jahren nach Aussprache wieder zurück. Jeder zweite Geschiedene wagt mindestens einen zweiten Versuch – der allerdings noch häufiger danebengeht. Nur 12% der Ja-Sager bewältigen einen Beziehungsmarathon von mindestens 26 Jahren. All diese Faktoren zusammengenommen führen zu dem Ergebnis, dass ein Ehepaar heute mit großer Wahrscheinlichkeit nicht durch den Tod, sondern durch den Richter geschieden wird. Umso beeindruckender ist, dass wir die Statistik optimistisch ignorieren und uns immer wieder aufs Neue ewige Liebe und Treue schwören.
Wann und warum hat sich die exklusive Liebesbeziehung zwischen Frau und Mann entwickelt? Der entscheidende Sprung zur typisch menschlichen Liebespraxis dürfte sich laut Ansicht der Evolutionsbiologen vollzogen haben, nachdem unsere Vorfahren der Australopithecus-Gattung vor etwa vier Millionen Jahren von den Bäumen gestiegen waren und den Urwald verlassen hatten, um die offenen Savannen Ostafrikas zu besiedeln. Hier vollzog sich – wahrscheinlich aufgrund veränderter Umweltbedingungen – etwas ganz Entscheidendes: Unsere Vorgänger begannen aufrecht auf zwei Beinen zu gehen.
Nun werden Sie sich fragen, was der aufrechte Gang mit monogamer Liebe in Serie zu tun hat?! Von diesem historischen Zeitpunkt an waren wir Frauen damit überfordert, unseren Nachwuchs allein aufzuziehen (Man(n) bedenke: In Jäger- und Sammlergesellschaften leisteten die weiblichen Hominiden 80% des täglichen Nahrungserwerbs!). Das offene Grasland war aufgrund der Raubtiere eine größere Gefahrenzone als der dichte Dschungel. Die Mütter waren fortan gezwungen, ihre schutzbedürftigen Kinder auf den Armen zu tragen. Mit dem aufrechten Gang waren unsere weiblichen Ahnen schlicht und ergreifend auf die Überlebenshilfe eines Partners angewiesen, der sie mitsamt Nachwuchs beschützte und unterstützte. Jene weiblichen Menschenahnen, denen es gelang, einen Mann speziell an sich zu binden, hatten weitaus größere Überlebenschancen. Von diesem prähistorischen Zeitpunkt an sollen sich monogame Bindungen für unser Überleben als vorteilhaft erwiesen und sich über Jahrhunderttausende eine immer intimer werdende Zweierbeziehung zwischen Mann und Frau entwickelt haben. Das ist insofern faszinierend, als dass es ewige Bindung im gesamten Tierreich nicht gibt! Unsere nächsten Verwandten brüten eine Saison, um dann wieder auseinander zu gehen. Offensichtlich sind auch wir Menschen auf Grundlage unserer stammesgeschichtlichen Wurzeln dafür gemacht, was in der Jäger-Sammler-Gesellschaft praktiziert wird. Partnerschaften haben genau so lange Bestand, wie die Kinder brauchen, um aktiv mitzulaufen, etwa 4 Jahre.
Folgen wir dem anthropologischen Standpunkt, so tauschen Frauen über Jahrtausende Schönheit und Treue gegen Versorgung und soziale Sicherheit. Männer hingegen geben Schutz gegen Attraktivität und Jugend. „Sex gegen Essen“ benennt der niederländische Verhaltensforscher Frans de Waal diese Handelsbeziehung mit nüchternem Wortlaut. Auch für das männliche Geschlecht hatte der monogam aufrechte Lifestyle einen Vorteil. Einerseits konnte der versorgende Mann (im Idealfall) davon ausgehen, dass er tatsächlich der biologische Vater seiner Kinder ist. Andererseits wäre er völlig überfordert gewesen, gleich für mehrere Gefährtinnen plus Nachwuchs als Ernährer herzuhalten. Rein wirtschaftlich betrachtet ist die Liebe folglich eine Art „Investment“. Unser Gehirn entscheidet quasi auf Basis einer emotional getroffenen Kosten-Nutzen-Abschätzung, ob und in wen wir uns zum Zweck der Paarung verlieben.
Hierbei gibt es eine ganz simple Faustregel: Die Frau steht auf Klasse, der Mann strebt nach Masse. Soll heißen: Frauen sind materiell und Männer visuell fixiert. Bei der Partnerwahl verhält sich die Auslese betreibende Frau weitaus kritischer als der Mann. Immerhin hat sie im Fall einer Schwangerschaft biologisch erheblich mehr aufzuwenden. Nicht nur, dass der einmalige Vorrat weiblicher Eizellen im Gegensatz zu den Spermien des Mannes „Exklusivware“ darstellt (Eine Frau produziert innerhalb ihres Lebens nur 400 reife Eizellen, hingegen schafft ein Mann bis an die 300 Millionen Spermien). Mit neunmonatiger Schwangerschaft, nachfolgender Stillzeit und jahrelanger Erziehung beläuft sich ihr zeitlicher Einsatz streng genommen auf „lebenslänglich“. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Frauen ihr Begehren auf einen zuverlässigen Versorger für den Nachwuchs richten. Status, Macht und materielle Sicherheit punkten im „Arbeitskreis Vaterschaft“.
Auch Männer haben ihre archaischen Vorlieben. Sie sind „Augentiere“. Soll heißen: Sie sind optisch orientiert. Durch den aufrechten Gang entzogen sich die weiblichen Genitalien der offensichtlichen Signalgebung. Zu erwähnen sei an dieser Stelle der rot angeschwollene Popo beim Pavian- oder Schimpansenweibchen, der dem Partner sexuelle Bereitschaft in den fruchtbaren Tagen zu verstehen gibt. Männliche Säugetiere sind auf pralle Gesäßbacken und rote Schamlippen geprägt. Apropos: Grob betrachtet ist der weibliche Busen ein verkappter Popo. Die prallen Gesäßbacken, die einst dem Zweck dienten, unsere Brunft zur Schau zu stellen, sind mit dem aufrechten Gang im Laufe der Jahrmillionen auf die Brust gewandert. Hübsch drappiert darf das Dekolleté ruhig wie ein Popo ausschauen (grandiose Aussichten beim großzügigen Dirndl-Ausschnitt), um die biologischen Programme beim anderen Geschlecht in Gang zu setzen. Die einstigen roten Schamlippen malen wir uns nun auf den Mund.
Da wir eine paarbildende Spezies sind, hat der Mann ein biologisches Interesse in seinem Stammhirn, eine möglichst junge Frau zu erobern, die die reproduktive Phase noch vor sich hat. Während der Hirsch mit üppigem Geweih die Kuh bezirzt, punktet der Mann von heute mit Publicity, goldener Kreditkarte, kostspieligem Flitzer und / oder aufgeblasenen Muskeln. Im „Krieg der Spermien“ siegt der Typ Mann, der durch Weitergabe seiner durchsetzungsstarken Qualitätsgene den „erblich brauchbaren“ Vater darstellt.
Das klingt nach fairem Handel! Frauen tauschen auf dem Partnermarkt ihre Schönheit und Jugendlichkeit gegen Status und Wohlstand des Mannes. Halleluja! Evolutionär betrachtet mögen diese Liebesleitprinzipien in unserem archaischen Hirnteil gespeichert sein. Aber funktioniert das simple Beuteschema bei uns Menschen im 21. Jahrhundert noch immer so? Oder ist es schlicht und ergreifend ein patriarchalischer Nachhall, dass Männer in hohen Positionen sind und Frauen Macht und Geld lieben? Die Frage ist, ob diese sexuellen Transaktionen in die Steinzeit gehören oder ins 21. Jahrhundert? Um Klischees vorzubeugen: Ebenso wenig, wie sich Frauen dauerhaft einen wichtigtuerischen Großmogul an ihrer Seite wünschen, der wie ein Satellit um sich selbst kreist, sehnen sich Männer nach einem überreizten Glamourgirl, deren Lebensinhalt ihre Körbchengröße, ihr Body-Mass-Index und ihr Chihuahua bildet. Nicht zu verleugnen ist jedoch die Tatsache, dass vielerorts noch immer der Klassiker gilt: Arzt heiratet Krankenschwester, Chef die Sekretärin und Pilot die Stewardess. Der patriarchal gesteuerte Mann schaut lieber auf jemand herab als herauf.
Ich will nicht in Zweifel stellen, dass unser Gehirn im Laufe der Evolution gelernt hat, anhand viel versprechender Äußerlichkeiten vage Rückschlüsse auf die Anlagen zu ziehen – was „unter uns“ in Zeiten von Leasing, Ratenzahlung und kosmetischer Chirurgie grob fahrlässig ist. Ein Blick in die breite Masse bestätigt diese simple, eindimensionale Auswahltheorie jedoch nicht. Trotz Attraktivitätsstereotyp zeigt uns erfreulicherweise unsere Alltagswirklichkeit tagein tagaus, dass wir letztlich in Sachen Liebe nicht (nur) nach Laufstegkriterien entscheiden. Schönheit und Reichtum sind nicht nur relativ, d.h. abhängig von vorherrschenden Normen der Gesellschaft, sondern vor allem emotional. Aus diesem Grund schlage ich folgende gütliche Einigung vor: Manch einer von uns sucht den Partner auf Augenhöhe, manch anderer sucht nur einfach was fürs Auge.
Die primitive Form des Trieblebens hat sich mit Vergrößerung unseres Gehirns in hochkomplexe menschliche Gefühle verwandelt. Wir wissen um unsere Triebe und darum, was im archaischen Stammhirn vorgeht. Wir haben aber auch eine angeborene menschliche Intelligenz und sind in der Lage, unsere Triebe zu beherrschen – oder festzustellen, wann sie uns in die Irre leiten. Mit anderen Worten: Wir sind nicht dazu gezwungen, in Sachen „Triebbefriedigung“ ewige Teenager zu bleiben – auch wenn so manch einer erst mit Ü50 offiziell seine Pubertät beendet.
Biologisch gesehen sind wir Menschen nicht auf ein bevorzugtes Modell des Zusammenlebens festgelegt. Unser Sexualverhalten ist zu einem großen Teil kulturell geprägt. Nicht jeder von uns ist heute am heterosexuellen Beziehungsprojekt „Ehe und Familie“ interessiert. Die Einehe ist eine von vielen möglichen kulturellen Produkten, das stark durch religiöse Regeln geprägt wurde mit dem Zweck, die Gesellschaft zu stabilisieren. Alternative Formen des Zusammenlebens sind auf dem Vormarsch: Regenbogenfamilien, Fernbeziehungen, Patchworkhaushalte, Homo-Ehen…
Der Mensch hat die Sexualität inzwischen weit über den Zweck der reinen Fortpflanzung gestellt. Man höre und staune, aber durch die sexuelle Befreiung und durch die Gleichstellung der Geschlechter haben Männer wie Frauen heute auch unverbindlichen Sex! So tauschen individuelle Freiheitsfanatiker serielle Monogamie gegen sexuelle Serialität. Andere wiederum suchen über den Umweg der seriellen Sexualität nach emotionaler Exklusivität, sprich: nach dem Partner fürs Leben. Wieder andere, zu Zweisamkeit Neigende, verhalten sich aufgrund ihrer exklusiven Emotionen ein Leben lang (oder zumindest für die Dauer der Beziehung) sexuell monogam.