Als ich das letzte Mal bis über beide Ohren verliebt war, habe ich mich zugegebenermaßen achtkantig blenden lassen. Mein Liebesnöter schien auf den ersten Blick eine romantische Lichtgestalt zu sein und gut zu mir zu passen. Der zweite „nüchternere“ Blick offenbarte mir im Verlauf der Folgemonate leider eine komplett andere Matrix. Er: bequem, pragmatisch, und gefühlskalt. Ich: energisch, kommunikativ und gefühlsüberdreht. Das kann nicht gut gehen! Jeder Westentaschenpsychologe hätte mir von dieser Episode aufgrund divergierender Persönlichkeitsdimensionen abgeraten. Das verstand ich (überraschenderweise) jedoch erst rückwirkend. Damit nicht alles für die Katz war, nutzte ich also diesen ernüchternden Liebeskater, um mir aus der emotionalen Regenphase die Sonnenflecken herauszufiltern. Konkreter gesagt: mir Klarheit über meinen Liebesstil zu verschaffen – und den Typen, der dazu passt. Nach dem Motto: Wer den Topf richtig kennt, kann den Deckel besser suchen. Ade Liebeskümmler!
Die bislang umfassendste Beschreibung zu den Spielarten der Liebe lieferte der kanadische Soziologe John Alan Lee im Jahre 1973. Mit seinem Modell der Liebesstile“ läutete er in der wissenschaftlichen Liebesforschung eine neue Ära ein. Hierzu studierte der Wissenschaftler die Klassiker der Weltliteratur, sichtete 4000 Aussagen zur Liebe aus der Literatur – von Plato und Paulus über Lawrence und Lessing bis hin zu Freud – und würzte sie mit persönlichen Erfahrungen. Aus dieser großspurigen Forschungsreise wurden für ihn sechs unterscheidbare Liebesstile mit jeweils liebestypischen Verhaltensweisen erkennbar: der romantische (Eros), der spielerischer (Storge), der altruistische (Agape), der besitzergreifende (Mania), der spielerische (Ludus) und der pragmatische (Pragma).
Eros ist im griechischen Mythos der Gott, der das Feuer der Liebe entfacht. Er steht bekanntlich für die romantische Liebe, die für Eros-Liebende als pulsierende Quelle für eine erfüllte Beziehung gilt. Typisch für den Erosstil ist die mystifizierte „Liebe auf den ersten Blick“ sowie das sagenhafte Gefühl, „von einem Blitz getroffen“ und „schicksalhaft füreinander bestimmt“ zu sein. Bei romantisch Liebenden dominiert das Bedürfnis nach zärtlicher Nähe in Verbindung mit fantasievoller, einfühlsamer Erotik. Eine „bipolare Störung“ ergibt sich allein aus dem Umstand, dass Eros der Sohn des Kriegsgottes Ares und der Liebesgöttin Aphrodite ist. Die Zwiespältigkeit der Liebe ist hierdurch quasi besiegelt. Abgesehen von der ersten, euphorisierenden Verliebtheitsphase finden wir diesen Liebesstil in Reinform häufig in Klassikern der Literatur, der Oper und des Theaters, auf den „Kuschelröcken“ und in Hollywoodfilmen vor, wie in „Titanic“, „Pretty Woman“ oder „Twilight“.
Storge, das altgriechische Wort für die Liebe zwischen Geschwistern oder Spielkameraden, bezeichnet eine mitfühlende, kameradschaftliche und entsprechend leidenschaftslose Liebe zwischen Partnern, die peu à peu ohne Rappel und Allotria erwächst. „Love without fever or folly“. Personen dieses Typs streben in erster Linie nach einer dauerhaften, zuverlässigen Bindung aufbauend auf gemeinsamen Interessen und Gewohnheiten. Die partnerschaftliche Liebe ist oft das Ergebnis einer bereits bestehenden Freundschaft. Kommt in Literatur und Film ziemlich selten vor, da die Spannungskurven bescheiden sind – etwa bei „Die Waltons“, „Die Manns“, oder „Unsere kleine Farm“. Außenstehenden drängt sich die Frage auf, wie wohl die gemeinsamen Kinder entstanden sein mögen?!
Agape, griechisch: die schenkende, göttliche, selbstlose Liebe, ist völlig uneigennützig und bedingungslos. Die Liebe von Agape-Vertretern ähnelt der Art Liebe, die Eltern für ihre Kinder empfinden. Das Wohl des Partners steht vor dem eigenen. Die Selbstaufgabe geht zuweilen sogar so weit (worst case!), dass der Agape-Liebende auf den Liebesbund verzichtet, wenn er zu der Einsicht gelangt, das Objekt seiner Liebe wäre ohne ihn oder mit jemand anderen besser gestellt (In so einem Härtefall liegt er mit dieser Vermutung im Zweifel richtig…). Sie ahnen es vermutlich: Agape ist in unserer Kultur ein überaus selten praktizierter Liebesstil.Paradebeispiele sind uns vor allem aus der Bibel vertraut.
Mania, vom griechischen „manie“, bedeutet „Raserei“ und „Wahnsinn“. Entsprechend besitzergreifend und eifersüchtig sind Liebes-Maniacs: zwanghaft mit ihrem Liebesobjekt beschäftigt, immerzu auf dessen Liebesbestätigung fixiert. „Liebst du mich noch?“ ist in diesem ambulanten Beziehungstypus Klassiker und Abtörner zugleich. Die Beziehung wird zur Besessenheit. Trotz oder gerade wegen charakterlicher Schnittmengen –kochende Eifersucht und enorme Verlustängste – kann eine solche Verbindung sehr intensiv und von unschätzbaren Wert für beide sein. Erinnert sei an Szenarien in „Eine verhängnisvolle Affäre“, „Taxi Driver“ oder „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.
Ludus, „das Spiel“ zum Zeitvertreib, meint die spielerische bzw. die verspielte flirtähnliche Liebe (ohne Besitzanspruch). Ludus-Liebende lieben vor allem die Abwechslung. Sie händeln die Liebe als ein Spiel, bei dem das Vergnügen umso größer ist, je mehr Spielgefährten oder Gespielinnen daran teilnehmen. Im Hause ihres Herzens gibt es viele Zimmer. Tiefe Gefühle werden von Liebesspielern gerne vermieden. Sie wollen sich in der Liebe ungern festlegen (lassen). Die gemeinsame Partie ist vor lauter Unverbindlichkeiten beobachtungsgemäß zu Ende, ehe der Spaß richtig losgeht. Ex und hopp. Statistisch betrachtet gibt es (man(n) glaubt es kaum!) mehr ludusliebende Männer als Frauen. Archetypen dieses Rasters: der venezianische Serientäter Giacomo Casanova, der italienische Luftikus Don Giovanni und die spanische Verführungskünstlerin Carmen. Literatur / Film: „Gefährliche Liebschaften“, „Eiskalte Engel“.
Die pragmatische Liebe (Pragma = der Nutzen) wählt den Partner aus Vernunftgründen zum Zweck einer vorteilhaften Beziehung. Die Rede ist von einer „passenden Verbindung“, die rational und praktisch den Bedürfnissen beider Partner gerecht wird. Liebespragmatiker haben eine ganz genaue Vorstellung von ihrer Zukunft, die mit der Partnerschaft kompatibel sein muss. So wird die Partnerwahl ganz pragmatisch in Abhängigkeit zur Karriere, Herkunftsfamilie, Sozialprestige und Erbmaterial getroffen. Diesen Liebesstil finden wir verstärkt bei C-Prominenten, die sich dadurch erhoffen, in die A-Prominenz aufzusteigen, wie einst Zsa Zsa Gabor und Frédéric Prinz von Anhalt. Auch bei so manch einer Fußballstargattin drängt sich zwingend der Verdacht auf, die durch diese sportliche Verschmelzung vom Provinz- zum Topmodel avanciert, eigene Modelinien herausbringt und (ohne je unterrichtet zu haben) Yogabuchautorin wird. In der Literatur bei Jane Austen („Stolz und Vorurteil“) – Frauen zur Zeit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert blieben vom Erbrecht benachteiligt, so dass ihnen nur die pragmatische Versorgungsehe oder das Gouvernantenschicksal blieb.
Es ist ersichtlich: Liebe ist alles andere als einheitlich, sondern besteht aus unterschiedlichen variierenden Gefühlsmotivationen. Ein und dieselbe Person vereint mehrere Liebesstile zugleich in sich – wenn auch in unterschiedlicher Intensität.
Forschungsergebnisse legen nahe, dass bei uns Menschen der westlichen Zivilisation (zumindest vom Wunschdenken her) der romantische Liebesstil überwiegt. Im turbulenten Weltgeschehen sehnen wir uns nach einer tiefen Seelenverwandtschaft, sprich: nach geistiger Glückseligkeit und sinnlicher Geilheit, und glauben sie im Ideal der wahren freien Liebe zu finden. Wenngleich wir aus eigener Erfahrung wissen, dass die Gleichung Romantik = Glück eine Milchmädchenrechnung ist, die langfristig nicht zwingend aufgeht.
Wichtiger als Mr. oder Mrs Right zu finden ist es deswegen, zuallererst sich selbst zu entdecken. Jeder von uns sehnt sich nach Liebe, jeder von uns kann Liebe geben. Aber jeder von uns auf seine besondere, ureigene Weise. Was wünsche ich mir? Was brauche ich? Was kann ich geben? Erst wenn ich mir darüber im Klaren bin, kann ich auch ein Gespür dafür entwickeln, wer zu mir passt.
Studien zeigen, dass sich meist Partner intuitiv zusammentun, die denselben Liebesstil pflegen: der sinnenfreudige Genussmensch zur lustvollen Schönheit, der umgängliche Kumpan zu dem Mädel zum Pferdestehlen, der nüchterne Pragmatiker zur rechtschaffenen Frau, der edelmütige Altruist zur aufopfernden Versorgerin. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wie es sich für die Wissenschaft gehört, wurde zur Erfassung der Liebesstile ein Messinstument entwickelt. Der Fragebogen trägt den romantischen Namen „Marburger Einstellungs-Inventar der Liebesstile“ (MEIL).
Die offene Auseinandersetzung mit dem eigenen Liebesprofil und ggf. dem Profil des Partners, mit den Übereinstimmungen und Unterschieden, kann neue Sichtweisen wecken, ein Gespräch anstoßen und wechselseitige Toleranz fördern.
Ob Eros, Storge, Agape, Mania, Ludus und Pragma – jede Gemeinschaft ist immer nur so gut wie diejenigen, die sie gestalten.