Es ist der „Morgen danach“. Nichts ist, wie es vorher war. In zwei menschlichen Gehirnen surren die unbewussten Schaltkreise und suchen nach Antworten auf die Frage, was letzte Nacht eigentlich passiert ist. Unser Bauchgefühl meldet uns: Wow! Doch wir haben keine Ahnung, warum. Wir wissen noch nicht einmal, wer genau die Person neben uns ist, mit der wir gerade aufwachen.
In keinem anderen Bereich sind wir unseren Gehirnen so ausgeliefert, wie in der Liebe. Dank neuer Entdeckungen der Hirnforschung wissen wir heute, dass unsere Entscheidungen nicht von bewussten Gedanken bestimmt werden. Schon gar nicht die existenziell wichtigen Entscheidungen von Frischverliebten wie: Ist dieser Mann respektive diese Frau für mich der / die Richtige? Wir schreiben eine gedankliche Pro- und Kontraliste. Und obwohl die Liste der Gegenargumente unter Umständen sehr lang sein kann, entscheiden wir uns – pardauz – für den stoffeligen Schluffi bzw. für die chronische Dramaqueen. Mit anderen Worten: Unser Verstand zieht oft den Kürzeren gegenüber unser Unbewusstes (Das bestätigt sowohl die Wissenschaft als auch langjährige akribische Feldforschung!).
Nichtsdestotrotz sind wir offenbar so verdrahtet, dass unser Bewusstsein alle unbewussten Einflüsse leugnet. Stattdessen erfindet unser Verstand lauter gute Gründe, warum wir uns jetzt gerade dafür entscheiden, Endstation Liebhaberin zu werden oder Montag-bis-Sonntag-Single zu bleiben.
Ist also in Sachen Liebe unser unbewusstes Gehirn in Wahrheit der „Chef im Ring“?
Studien haben gezeigt, dass unser Gehirn Entscheidungen fällt, lange bevor sie uns bewusst werden. Unser Bewusstsein funktioniert demzufolge wie ein Nachklapp, wenn alles bereits entschieden ist – eine Art PR-Aktion unseres Gehirns, damit wir davon überzeugt sind, dass wir auch noch was zu sagen haben.
Zurück zum Eingangsszenario. Nehmen wir an, wir haben vor „dem Morgen danach“ jemanden kennen gelernt, den wir richtig sexy finden. Unter optimalen Bedingungen sind wir der besagten Person näher gekommen. Der Liebes-ICE nahm seinen Lauf. Beim Sex schoss automatisch unser Dopaminspiegel in die Höhe. Dopamin wird immer dann im Gehirn ausgeschüttet, wenn sich etwas besonders gut anfühlt. Nach dem Orgasmus stieg das Noradrenalin, ein Dopaminverwandter. Diese beiden Hormone sorgen im Idealfall dafür, dass wir uns unsterblich in unsere Neueroberung verlieben. Kurzum: Anfangs übt jemand einen rein sexuellen Reiz auf uns aus, weil unserem Gehirn das so in den Sinn kommt. Im Idealfall haben wir Sex und unser Gehirn löst – angeheizt durch die chemischen Reaktionen im Körper – das Gefühl von romantischer Liebe aus. Selbst wenn der Sex völlig zwanglos geplant ist, begünstigen die anregenden Hormone im Zweifelsfall ein sich entfaltendes Gefühl von Verliebtheit.
In der Anfangsphase einer Beziehung sind wir gestresst, blind und süchtig. Aus wissenschaftlicher Sicht ist Verlieben vor allem Stress. Unser Panikschalter, die Amgydala, wird aktiv. Sie versetzt uns in Alarmbereitschaft und sorgt für die (nötige) Aufregung, die wir beim Verlieben spüren.
Zugleich macht uns eben dieser Panikmodus auch ein wenig blind. Er sorgt dafür, dass wir beim Partner nicht allzu genau hinschauen (Keine Sorge: Das hebt sich zu einem späteren Zeitpunkt ganz von allein wieder auf, wenn wir jedes gesagte Wort und jede unterlassene Handlung des Partners auf die Goldwaage legen).
Verliebtheit ist nicht bloß eine ideale Phase, sondern vor allem eine Idealisierungsphase: Mit unserem verliebten Tunnelblick sehen wir die Welt mit anderen Augen!
Parallel springen unsere Belohnungszentren an. Endorphine, hirneigene Opiate aus dem Hypothalamus, stimmen uns euphorisch. Ebenso wie das stimmungsaufhellende Serotonin, das im Stammhirn produziert wird. Alle am Firmament verfügbaren Sternschnuppen versammeln sich für uns zum Formationstanz. Dieser Glückscocktail wirkt wie eine Droge. In dieser Anfangsphase erleben wir die Abwesenheit des oder der Liebsten als kalten Entzug. Wir fiebern nach emotionaler und sexueller Vereinigung mit dem ersehnten Objekt unserer Begierde. Verlieben macht also süchtig!
Tatsächlich geht die Neurowissenschaft heute davon aus, dass Liebe eine Sucht ist. Bei Verliebten wurde eine Aktivität im Nucleus accumbens festgestellt, einer kleiner Hormonfabrik unseres Gehirns, die auch bei intensivem Suchtverhalten aktiv wird. Durch erhöhte Aktivität im verliebten Gehirn flutet er eben dieses mit Dopamin. Vergleichbar mit der zudröhnenden Wirkung einer Dopingdroge erzeugt die erhöhte Freisetzung dieses antreibenden Botenstoffes ein emotionales Hochgefühl. „Liebe ist eine schwere Geisteskrankheit“, soll bereits Platon gesagt haben. Doch eines bitte ich hierbei zu berücksichtigen: Während die Sucht de facto eine Krankheit ist, ist das Verliebtsein – sofern es auf Gegenseitigkeit beruht – gesund!
Während also unsere Großhirnrinde und damit unser Bewusstsein in Glücksdrogen schwimmt, befiehlt der Hypothalamus die Produktion von Cortisol, dem Stresshormon, das im akuten Zustand des Verliebtseins unseren Blick total einengt. Sind wir verknallt, übertüncht das im Anfangsstadium viele Defizite. Wir übersehen z.B. großzügig, wenn unser(e) Auserwählte(r) sich ständig in rhetorischen Minimalaussagen festbeißt, zwanghaft „klar Schiff“ macht, in entscheidenden Situationen faktisch nie da ist oder zwei bis drei weitere Nebenbeziehungen führt.
Aber in diesem Zustand geschieht noch viel mehr. Dank des männlichen Sexualhormons Testosteron werden Mann und Frau einander ähnlicher. Hypothalamus und Hirnanhangdrüse drosseln bei verliebten Männern erstaunlicherweise die Produktion. Verliebte Frauen dagegen produzieren umso mehr. So ist der Testosteronspiegel in Zeiten der Verliebtheit bei Mann und Frau auf gleichem Niveau mit folgendem Effekt: Beim Mann wird der Beschützerinstinkt geweckt und sein sexuelles Lustempfinden wird bis auf weiteres einzig auf die eine Frau beschränkt. Bei der Frau wird unter Testosteroneinfluss ihr Sexualtrieb angeregt. Auf eine einfache Formel gebracht: Testosteron macht Appetit auf Sex, im Gegenzug kurbelt jede sexuelle Stimulation die Testosteronbildung im Gehirn an.
Es kommt, wie es kommen muss: Nach sechs bis neun Monaten lässt der kosmische Rausch allmählich nach. Die anfängliche Phase der Verliebtheit, in der Sex quasi rund um die Uhr stattfindet, mündet irgendwann schließlich in eine ereignisarme bis abstinente Phase. Die Leidenschaft erfährt in diesem fortgeschrittenen Stadium in aller Regel deutliche Abstriche. Unsere Hochlage flaut zusehends ab, da sich die Nervenenden in unseren Gehirnen mit der Zeit an die erhöhten Hormonwerte gewöhnen. Das ist biologisch betrachtet auch gut so, denn Verliebtheit auf Dauer ist in etwa so, als ob jeden Tag Silvester wäre: die reinste Strapaze!
Der Übergang vom romantischen Hoch zum bindenden Tief – pardon: zur tiefen Bindung – stellt eine heikle Phase dar. Für manch einen von uns mag sie das Ende der Liebe bedeuten, für andere ist sie erst der Beginn! (Die Fallhöhe ist immens: Gestern noch bedingungslose Harmonie, heute plötzlich mühselige Beziehungsgespräche..)!
Wenn alles gut läuft, sind wir zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits auf Oxytocin, einem Bindungshormon, das unsere Hirnanhangdrüse bei jeglicher Form von Streicheleinheit ausschüttet. Ein starker Schub des „Treuehormons“ Oxytocin, das als „Langzeitklebstoff“ für Liebesgemeinschaften bejubelt wird, schafft neben sexuellen Begehren das Bedürfnis, sich auch mental aufeinander einzugrooven und polt uns damit unbewusst auf eine dauerhafte Bindung. Die Paarbindung ist nun auf Beständigkeit angelegt – es entsteht das, was wir gemeinhin als „Liebe“ bezeichnen.
Nach welchen Kriterien wir die Menschen auswählen, in die wir uns verlieben, konnten die Liebesforscher bis jetzt noch nicht eindeutig klären. Wen wir begehrenswert finden, entscheidet zum Großteil unser limbisches System auf Grundlage frühkindlicher Prägungen (der „Sound“ des Elternhauses) und darauf aufbauender Liebeserfahrungen. Sicher ist: Die Verliebtheit ist ein biologischer Mechanismus, der in unseren Köpfen entsteht und uns durch fein abgestimmte Hormonmixturen hilft, langfristige Partnerschaften einzugehen und somit unseren potenziellen Nachwuchs zu versorgen.
Unabhängig davon, wie gut es der Wissenschaft gelingen mag, die Biologie der Liebe vollständig aufzuklären – das Geheimnis, die Magie dieser Leidenschaft wird sie nie zerstören können. Die biologischen Mechanismen von Mensch zu Mensch und von Liebe zu Liebe mögen sich gleichartig abspielen. Dennoch fühlt sich jede Liebe immer neu und einzigartig an!