Kleiner Test: Kannst Du Dich noch erinnern, wie heute Dein Morgenkaffee oder -tee geschmeckt hat? Oder geduftet? Also spätestens dann, wenn ich nicht mehr weiß, ob ich das Espressopulver aus dem Maschinenfilter überhaupt ausgewechselt habe, weiß ich, dass ich körperlich zwar anwesend, trotzdem geistig nicht präsent bin. Meilenweit am Augenblick vorbei. Bei den meisten von uns knipst sich der Autopilot direkt nach dem Aufwachen an. Sozusagen vom Nachtschlaf in die Tagestrance.
Putzen wir uns die Zähne, stehen wir gedanklich schon unter der Dusche. Während wir uns einseifen und uns vom fließenden Wasser berieseln lassen, bereiten wir gedanklich den Kaffee zu. Beim Kaffeeschlürfen checken wir per Smartphone die Nachrichtenfront. Wenn wir dann durch die Straßen zu einem Termin hetzen, nehmen wir kaum etwas um uns herum wahr, scheuen Blickkontakt und wissen bei all der Hektik nicht, wen wir zuerst ignorieren sollen: uns selbst oder die anderen. Wir überholen uns ständig selbst … und drohen dabei auf der Strecke zu bleiben.
Es ist schon verwunderlich: Wir versuchen unser Leben unter Kontrolle zu bringen, indem wir angestrengt alle möglichen absurden Eventualitäten abchecken. Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Wenn wir unser Leben unter Kontrolle bringen wollen, müssen wir an unserem Geist arbeiten. Nur den sollten wir versuchen auszukundschaften. Wenn wir unsere Gedanken nämlich nicht im Blick behalten, sondern ihnen freien Lauf lassen, stecken wir ewig im Hamsterrad fest – im Kopf wie im Leben.
Unsere Geistesaktivitäten lassen sich mit einer Horde wild herumspringender Affen vergleichen. Wir galoppieren geistesabwesend durch die Gegenwart, während wir uns innerlich auf blumigere Zeiten vertrösten.
Achtsamkeit steuert darauf hin, ganz im Hier und Jetzt zu sein. Dem jetzigen Moment seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Denn das gebührt nicht nur dem Genussmoment der ersten Tasse Kaffee oder Tee am Morgen mitsamt seinem harmonisch-vollmundigen Aroma, sondern auch uns. Denn über unsere bewusste Wahrnehmung des köstlichen Geschmacks der gerösteten Arabicabohnen oder der ceylonesischen Teeblätter können wir zugleich auch den ersten Glücksmoment des Tages feiern und damit die anregende Dopamin-Ausschüttung in unserem Gehirn (Stichwort: Belohnung ☺).
Hierzu ist es aber zunächst notwendig, unsere Gedanken, die von ihrem Naturell wie ungebändigte Affen wild herumhüpfen (Monkey Mind!), bewusst zu zähmen und das Affengetöse im Kopf endlich zu stoppen. Nicht mehr für den Augenblick zu leben, sondern in ihm. JETZT ist immer die richtige Zeit! Denn es ist die einzige Zeit. Unser Leben in seiner einzigartigen Vielfältigkeit offenbart sich ausschließlich in der Gegenwart. Buddha sagt dazu:
„Die Vergangenheit ist vorbei und die Zukunft noch nicht da. Es gibt immer nur einen einzigen Moment für Dich und Dein Leben. Das ist der gegenwärtige Moment.“
Ein kluger und inzwischen weltweit bekannter Mann namens Jon Kabat-Zinn erfand vor knapp 40 Jahren die Methode des Achtsamkeitstrainings. Für die Patienten seiner 1979 gegründeten Stressklinik entwickelte er die „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“, kurz MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction). Damit machte er die jahrtausendealte buddhistische Meditations- und Achtsamkeitslehre auch dem Westen zugänglich.
Achtsamkeit ist kein esoterisches Chi Chi, auch kein Modetrend, sondern eine Lebenseinstellung. Sie ist das Vermögen, sich durch Geistesübungen ganz im gegenwärtigen Moment einzurichten. Die Fähigkeit, bewusst zu leben, präsent zu sein, aus der Geistesabwesenheit aufzutauchen und in ein achtsames Gewahrsein des Hierseins einzutreten. Eben diese Kunstfertigkeit gilt es zu kultivieren. Um es mit Kabat-Zinns Worten zu sagen: „Für mich ist Achtsamkeit eine Liebesbeziehung mit dem Leben.“
Und … wollen wir die nicht alle gerne haben?
Fortsetzung im nächsten Blog: Wie üben wir Achtsamkeit? Start der großen Achtsamkeits-Challenge!