Das Wesen der Meditation besteht darin, nichts zu tun, nichts zu denken, nichts zu bewerten. Das macht sie für uns hochzivilisierten Selbstoptimierern gleichzeitig so kompliziert.
Bevor du diesen Text ganz liest, bitte ich dich um Folgendes: Lege die „Auszeit“ kurz beiseite. Setze dich aufrecht hin und schließe deine Augen. Atme zehnmal bewusst durch die Nase ein und wieder aus. Konzentriere dich einzig und allein auf deinen Atem und spüre, wie er langsam in dich hineinströmt und dann wieder aus dir herausströmt. Mit jeder Einatmung dehnt sich dein Brustraum leicht aus und mit jeder Ausatmung zieht er sich sacht zusammen. Kultiviere 10 Atemzüge Auszeit…
…Deine Augen sind nun wieder geöffnet. Na, wie fühlte sich das für dich an? Bist du frei von Turbulenzen bei „Zehn“ angekommen? Wie oft sind deine Gedanken abgeschweift?
Warum meditieren?
Bevor du dich den Strapazen aussetzt, die das Meditieren lernen mit sich bringt, lohnt es sich, im Vorfeld eine Absicht zu formulieren. Frage dich: Warum will ich meditieren? Denn so hast du die Möglichkeit zu überprüfen, ob deine Reise in die anvisierte Richtung geht. Allerdings plädiere ich auch dafür, sich in der Meditation nicht zu viel zuzumuten und die eigene Erwartungshaltung etwas zu drosseln. Wir neigen schon im Alltag dazu, uns unermesslich viel abzuverlangen, um uns obendrein für die selbst auferlegte Überforderung lautstark zu verurteilen.
Ich mache den Anfang und frage mich: Was führt mich persönlich zur Meditation? Mich quält ein getriebener, unersättlicher Geist. Und zwar in einem solchen Ausmaß, dass mich Denken hin und wieder in Schwierigkeiten bringt. Meine innere Ruhe kommt zu Scha(n)den. Mein Meditations-Motiv ist der Wunsch nach Befreiung vom geistigen Schrott, nach einem ordentlichen Funken mehr Gelassenheit und nach mehr Flexibilität im Oberstübchen.
Der eigene Weg
Ich möchte meine Mitte finden, meine Welt achtsam wahrnehmen, im Augenblick leben. Und es könnte so leicht sein: Einfach nur dasitzen, atmen, an nichts denken. Wenn unser Verstand nicht querschießen würde, dieser aufmüpfige Deserteur!
Also heißt es, sich dem Meditieren sehr bewusst zuzuwenden, sich die Methoden anzueignen, die am besten zu einem passen.
Denn es gibt nicht die eine, einzig richtige Art zu meditieren. Meditation kann sitzend, liegend, gehend, geführt oder still durchgeführt werden. Die Bandbreite der unterschiedlichen Meditationstechniken ist unüberschaubar. Jedem, der die Meditation in sein Leben holen will, sollte sich daher jeweils für sich selbst die Frage stellen: Welche Methode vermag mir das zu geben, was ich benötige? Einen soliden Überblick kannst du dir in Nullkommanix über die zahlreichen Webtipps und die zu diesem Thema inzwischen gut gefüllten Bücherregale beschaffen.
Meditieren üben
Verbringe jeden Tag einige Zeit mit dir selbst. (Dalai Lama)
In der Meditation verhält es sich wie mit allen Dingen des Lebens: Die Effekte verschwinden, wenn wir nicht im Training bleiben. Deshalb ist die Regelmäßigkeit unverzichtbar. Das bedeutet konkret: üben, üben und – trotz hundsgemeiner Attacken der Mutlosigkeit – weiter üben. Ideal ist der frühe Morgen direkt nach dem Aufstehen. Wenn die Seele noch nicht ganz im Irdischen und der Geist noch nicht von den Anforderungen des Alltags beschossen ist.
Ab aufs Kissen
Ich will sie für mich entdecken: die Magie der Gegenwart. Mein Trainingscamp des inneren Friedens. Ich lasse mich auf meinem Meditationskissen nieder und mache es mir in meinem Meditationssitz so bequem wie möglich: Augen zu. Aufrechter Sitz. Ruhig werden. Die Reise durch mein Inneres kann losgehen. Wir zwei sind ganz hier, in diesem Moment. Ich und meine Zweifel. Zum Einstieg konzentriere ich mich ausschließlich auf meinen Atem. Zumindest versuche ich es. Die bewusste Atmung ist die Grundlage der Meditation, die unsere Mitte stärken und uns mit der Gegenwart verbinden soll. Ich atme ein, Eins. Ich atme aus, Eins. Ich atme ein, Zwei. Ich atme aus, Zwei … Ich versuche die Atemwellen vom Beginn des Einatems bis zum Ende des Ausatems und durch die Pausen dazwischen (sowie durch die Gedanken-Umwege) zu begleiten. Angekommen beim unglaublich weit entfernten Ziel – Zehn –, geht die Reise wieder von vorne los.
Gedankenwirrwarr
Bloß nicht an irgendwas denken! Ist das etwa schon ein Gedanke: zu denken, an nichts zu denken? Egal! Anfängerfehler. Einfach unbeirrt weiter tief ein- und ausatmen. Hmm … das fühlt sich gut an! So erleichternd! Ach, ich soll ja nicht bewerten! Ups, wieder eine Bewertung. Unter meinem linken Schulterblatt zuckt ein Muskel, von dessen Existenz ich bislang noch nichts wusste. Sind Feststellungen erlaubt? Die Begegnung mit sich selbst kann ziemlich brutal sein, stelle ich kleinlaut fest. Gedanken spülen mich aus dem (meditativen) Raum. Sie und ich gehen in Gefechtsstellung. Bilder, Erinnerungen, Fantasien. Erst entführen sie mich in die Vergangenheit, dann in die Zukunft und wieder zurück. Das ist nicht alles: Rückenschmerzen, eingeschlafene Füße, rumpelnde Knochen, innere Unruhe, das Summen einer Fliege, Selbstanklagen. Ich bin reif für die erste Depression. Atmen und gegenwärtig sein. Das kann doch nicht so schwer sein, verdammt noch mal!
Der Blick nach innen
Das schweigende In-mich-gehen lässt mich die Bewegung meines Geistes wahrnehmen: inneres Aufgewühltsein. Angst sprudelt in mir hoch, vor aufmüpfigen Gedanken, vor ungebetenen Erinnerungen, vor Schmerz. „Normal“ ist ja inzwischen, zig Dinge gleichzeitig per Vollgas zu erledigen, um bloß nicht über sich selbst nachdenken zu müssen. Meine Bedürftigkeit nach Anerkennung und Zerstreuung bekomme ich unsanft zu spüren. Ich fühle mich irgendwie „abgeschnitten“, getrennt und ja: auch einsam.
Es ist so unsagbar schwer, gar nicht zu denken! Ich kann meine Gedanken möglicherweise nicht steuern. Was ich aber beeinflussen kann, ist, wie viel Raum ich einem Gedanken zugestehe. Ich will belastende Gedanken weiterziehen lassen, ohne mich ständig in ihnen zu verstricken. Gedanken sind wie Taxis. Sie fahren immer vor. Doch ich kann wählen, ob ich einsteigen will, oder nicht. Dieser Leuchtpunkt an Erkenntnis kommt mir zupass: Man kann die Taxis auch vorbeifahren lassen. Willkommen „Ich-Flexibilität“!
Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens. Das Gegenstück zur äußeren Stille ist innere Stille jenseits der Gedanken.
(Eckhart Tolle)
Es ist nicht leicht, Stille in sich zu finden. Bevor es leiser wird im Kopf, wird es erstmal laut. Ich spüre Widerstand. Habe ich mich innerlich wirklich mit dem Schweigen einverstanden erklärt? Irgendwie ist Stille ja auch ein Zustand, dem wir unbewusst entfliehen. Zwar sehnen wir uns nach ihr, doch in ihr einzutauchen ist kein Kinderspiel. Plötzlich sind wir allein…mit existenziellen Fragen: Wie lebe ich mein Leben? Läuft alles so, wie es sein sollte? Bin ich mir selbst treu, in dem, was ich tue?
Im Jetzt verweilen
Nach dieser ersten Durststrecke und eine gefühlte Ewigkeit später vollzieht sich etwas Erstaunliches. Ich akzeptiere, dass die Gedanken gar nicht „weggehen“. Sie werden ruhiger, während ich sanftmütiger in meinen Ansprüchen werde.
Jetzt, für einen kostbaren Augenblick, erfahre ich eine tiefe innere Ruhe in mir. Ich bin HIER, in diesem Moment. Kein gestern oder morgen, sondern eine umfassende Präsenz im JETZT. Wow, wie megacool ist das denn? Ich bin gerade dabei, meine persönliche Welt näher kennen zu lernen. Je mehr ich das zulasse und sie willkommen heiße, desto verbundener fühle ich mich mit mir, dem Leben, meinen Mitmenschen und der Natur. Logo: Sich nach innen zu verziehen macht nur Sinn, wenn ich mich danach dem Außen besser zuwenden kann. Unerwünschte Gedanken und Gefühle ziehen sich zurück und eröffnen den Blick in die Tiefendimension meines Innenlebens. Das Wunder des Lebens zeigt sich mir für einen Moment in der Stille des Herzens. Ein klitzekleiner Hauch Erleuchtung.
Zusehends blitzen immer mal wieder solche hellen Momente auf. Sie halten mich bei Laune. Und: Sie nehmen zu, an Zahl und an Tiefe. Nach und nach komme ich immer besser rein, kann Ablenkungen und Zipperlein links und rechts liegen lassen. Irgendwo ist da immer ein störender Gedanke. Aber ich verstricke mich seltener damit. Wenn meine Aufmerksamkeit auf Wanderschaft geht, lenke ich sie zurück zum nächsten Atemzug.
Bilanz meiner Innenschau
Meine ganz individuelle „Erleuchtungserfahrung“ lautet: Gedanken kommen, Gedanken gehen. Jon Kabat-Zinn, Erfinder der MBSR-Achtsamkeitspraxis (Mindfulness-Based Stress Reduction), bringt es auf den Punkt: „Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen zu surfen.“ Und genau deshalb meditiere ich weiter. Ich will auf meinen Gedankenwellen surfen!
Phasen der meditativen Stille sind heute Teil meines Alltags. Mein kleines Schweigeseminar. In dieser Zwischenwelt von Erwartungshaltung, mürrischem Absitzen und absoluter Hingabe gibt es jene besonderen Momente, in denen sich Hast und Zweifel durch Bedachtsamkeit und Stille ablösen. Momente, die in mir nachhallen, die Wirkung zeigen. Die Übungen lassen mich an guten Tagen etwas ruhiger, achtsamer, genügsamer werden. Ich nehme Details in meiner Umgebung wahr: das Zwitschern der Vögel, rauschende Blätter, Schönwetterwolken am Himmel, der Duft der Apfelblüte.
Nach all den Jahren, in denen ich Meditation nun schon ausprobiere – geführte Meditation, nicht geführte Meditation, Meditation allein zu Haus, Meditation in der Gruppe – bin ich vor allem eines geblieben: bekennende Meditations-Novizin. Die Meditation hat mich gelehrt, dass es nicht darum geht, ein endgültiges Ziel zu erreichen. Sondern vielmehr darum, eine Haltung zu kultivieren, die mich – wenn es gut läuft – mir selbst ein ganzes Stück näherbringt. Dann spüre ich so etwas wie Einklang und eine unvergleichlich wohltuende … Stille.
Tipps für Meditationsanfänger
ॐ Wissen, warum.
Überlege dir, warum du meditieren möchtest. Eine vom Herzen inspirierte Motivation ist die verlässlichste Antriebsfeder.
ॐ Finde die passende Technik.
Vertrau auf dein Bauchgefühl – es zeigt dir den Weg zu deiner Technik (z.B. Achtsamkeits-, Stille-, Transzendentale Meditation).
ॐ Erwarte erstmal: gar nichts.
Um effektiv zu meditieren, lohnt es sich aufzuhören, effektiv meditieren zu wollen.
ॐ Wähle eine Zeit, in der du maximal ungestört bist.
ॐ Suche dir das perfekte Plätzchen für deine Meditation.
Yogamatte, Wohnzimmer, Meditationsraum, Bank im Park, Wiese…
Und wähle für die Meditation eine bequeme Kleidung – kein Kratzen, kein Zwicken.
ॐ Achte auf deine Körperhaltung.
Richte deinen Körper so aus, dass du zugleich stabil und entspannt sitzt.
ॐ Suche dir einen Konzentrationspunkt.
Einen „Anker“, der hilft, den Gedankenstrom zu beruhigen (z.B. der Atem, ein Mantra, ein visualisiertes Bild).
ÜBUNG: LIEBENDE-GÜTE-MEDITATION
Komme in eine angenehme, entspannte Sitzhaltung.
Deine Hände liegen locker auf deinen Knien.
…
Wenn du dich im Sitz eingerichtet hast, schließe sanft deine Augen.
Richte deine Aufmerksamkeit auf den Herzraum und spüre die natürliche
Atembewegung. Atme bewusst durch die Nase ein und aus.
…
Konzentriere dich nun auf dich selbst. Denke an die Person, die für dich der Inbegriff menschlicher Wärme, Güte und Großherzigkeit ist.
Hast Du es geschafft, das positive Gefühl zu spüren, wende dich dir selbst zu und weite dieses Gefühl der liebevollen Zuwendung auf Dich selbst aus.
…
Entfalte immer mehr Gefühle wie Freundlichkeit, Mitgefühl und Wertschätzung für dich selbst. Schaue auf dich selbst mit Güte und tiefem Wohlwollen.
…
Sage dir, dass aktuell – hier und jetzt – alles gut ist, so, wie es jetzt ist.
Versuche, so gut es geht, in dieser positiven Empfindung zu verweilen. Lass dieses Gefühl von Liebe, Freude und Zufriedenheit durch den ganzen Körper strömen und größer werden. Verweile in dem Gefühl.
…
Wiederhole dabei in Gedanken folgendes Mantra:
…
„Möge ich mich sicher und geborgen fühlen.“
Stell dir vor, wie es sich anfühlt, ganz sicher zu sein!
…
„Möge ich glücklich und zufrieden sein.“
Wie fühlt sich dein Körper an, wenn du glücklich bist?
…
Möge ich gesund sein.“
Wie fühlst du dich, wenn du ganz gesund bist?
…
„Möge ich leicht und unbeschwert leben.“
Wie fühlt es sich an, leicht durchs Leben zu gehen?
Was geschieht mit deinem Atem?
…
Übe das wieder und wieder, bis du die liebende Güte für dich wirklich fühlst.
…
Wenn du eine Stufe weitergehen magst, kannst du dein Mitgefühl auf einen Menschen ausweiten, den du sehr gerne magst oder liebst. Du kannst diese liebende Güte auch jemandem widmen, der leidet oder krank ist.
…
Deinem Spektrum der liebenden Güte sind keine Grenzen gesetzt: Du kannst dein Feld so weit ausdehnen, wie du magst. Es kann deinem Haustier zu Teil werden, deiner Umwelt, allen Pflanzen, allen fühlenden Wesen, allem Leben.
…
Um die Meditation zu beenden, vertiefe behutsam deinen Atem. Öffne langsam deine Augen.
…
Nimm die Güte und das (Selbst-)Mitgefühl aus dieser Meditation mit dir und lasse sie draußen in deinem Leben wirksam werden.